Kinderlähmung (Poliomyelitis): Symptome, Krankheitsverlauf und Impfung

Polio-Impfung: früher schlucken, heute spritzen

Kaum eine Schutzimpfung hat sich so im Bewusstsein der Bevölkerung verankert wie die gegen Polio. Unter dem Slogan "Schluckimpfung ist süß - Kinderlähmung ist grausam" startete in den 60er Jahren eine Aufklärungs-Kampagne.

Seit 1998 empfiehlt die Ständige Impfkommission (STIKO) am Robert Koch-Institut in Berlin anstelle der Schluckimpfung (OPV) eine Impfung zur Injektion (IPV) mit einem inaktivierten Impfstoff. Diese Impfung ist geeignet für Säuglinge ab dem vollendeten 2. Lebensmonat, aber auch für Jugendliche und Erwachsene. Für Kinder gibt es Kombinationsimpfstoffe, die zur Grundimmunisierung dreimal gegeben werden. Für Frühgeborene (Geburt vor der vollendeten 37. Schwangerschaftswoche) sind es vier Impfungen. Um einen frühzeitigen Schutz in der jungen, besonders vulnerablen Säuglingsphase zu gewährleisten, ist es wichtig, alle Impfungen zeitgerecht durchzuführen, d.h. die Impfserie soll vor dem 1. Geburtstag abgeschlossen sein. Eine Auffrischimpfung erfolgt zwischen dem 9. und vollendeten 16. Lebensjahr, in der Regel mit dem Kombinationsstoff gegen Tetanus, Diphtherie, Keuchhusten und Polio.

Personen die eine komplette Grundimmunisierung und später mindestens eine Auffrischimpfung erhalten haben, gelten als vollständig immunisiert. Die STIKO empfiehlt eine Auffrischimpfung nach dem vollendeten 18. Lebensjahr nur noch bei bestimmten Risikogruppen (für Reisende in Länder mit Polio-Vorkommen, für Aussiedler und Migranten in Gemeinschaftsunterkünften und für Personen mit beruflicher Exposition z.B. im medizinischen Bereich) sowie bei unvollständiger Dokumentation der Grundimmunisierung. Personen ohne Nachweis einer Grundimmunisierung sollten bei einer geplanten Reise in Länder mit Infektionsrisiko (aktuell Afghanistan und Pakistan) vor Reisebeginn wenigstens zwei Impfungen Polio erhalten.


Verbreitung: Kinderlähmung ist weitgehend zurück gedrängt

Vor Einführung breiter Impfkampagnen waren Polioviren weltweit verbreitet. Dank der breiten Anwendung der Schluckimpfung ist die Erkrankung mit ihren sichtbaren Folgen weitgehend aus unserem Alltagsleben verschwunden, und die WHO hat 2002 Europa und somit auch Deutschland als "poliofrei" zertifiziert. Dies heißt aber nicht, dass es hier keine Poliofälle mehr geben kann.

Das Ziel der WHO, die Polio auszurotten, scheint mit weltweit nur noch 33 gemeldeten Erkrankungen in 2018 nahezu erreicht. Jedoch gibt es nach wie vor Meldungen über Polioausbrüche wie zum Beispiel auf den Philippinen 2019. Trotzdem besteht weiterhin die berechtigte Hoffnung, dass die GPEI (Globale Polio-Eradikations-Initiative der WHO) ihr Eradikationsziel bis 2023 erreichen kann. Mittlerweile tritt Polio nur noch in Afghanistan und Pakistan endemisch auf. Eine der größten Gefahren ist, dass die Polioviren aus den Endemiegebieten in Länder reimportiert werden könnten, aus denen längere Zeit keine Infektionen mehr gemeldet wurden. Deshalb ist die Weiterführung der Polioimpfung in den bereits als poliofrei zertifizierten Ländern notwendig.


Übertragung der Polioviren von Mensch zu Mensch

Das Poliovirus kommt nur beim Menschen vor und wird über eine oral-fäkale Schmutz- und Schmierinfektionen (äußerst selten über Tröpfchen-Infektion) von Mensch zu Mensch übertragen. Das mit dem Stuhl ausgeschiedene Virus gelangt durch den Mund in den Körper, beispielsweise über die Hände, Gegenstände, Nahrungsmittel (z.B. Muscheln), entsprechenden Geschlechtsverkehr und Wasser. Schlechte hygienische Verhältnisse begünstigen die Ausbreitung von Infektionen.

Die Virusausscheidung im Stuhl beginnt etwa 3 Tage nach der Infektion und dauert zwischen 4 Wochen und 5 Monaten. Eine Ansteckungsfähigkeit besteht, solange das Virus ausgeschieden wird. Zusätzlich ist zu beachten, dass Polio-Viren einige Monate in Abwässern überdauern können.

Wichtige Schutzmaßnahme in Risikoländern ist daher nicht nur eine vorbeugende Impfung sondern auch die Einhaltung der wichtigsten Hygiene-Regeln.


Krankheitsverlauf: Polio kann zu schwerer Invalidität führen

Polio ist eine Infektionskrankheit, die zu schwerer Invalidität führen oder gar tödlich enden kann. Eine ursächliche Behandlung der ausgebrochenen Krankheit gibt es nicht.

Die Kinderlähmung verläuft in verschiedenen Phasen. Nach wenigen Tagen, maximal nach zwei Wochen, zeigen sich bei 95% aller Fälle Infizierten entweder keine oder nur unspezifische Krankheitszeichen wie Fieber, Schluckbeschwerden, Kopf- und Gliederschmerzen. In über 95% der Infektions-Fälle entwickelt das körpereigene Immunsystem in dieser Phase neutralisierende Antikörper.

Etwa eine Woche nach dem Ausbruch kommt es bei ein bis zwei Prozent der Infizierten zu einer Hirnhautentzündung (Meningitis). Bei weniger als einem Prozent der Polio-Kranken kommt es anschließend neben schweren Rücken-, Nacken- und Muskelschmerzen zu Lähmungen der Gliedmaßen oder des Zwerchfells. Besonders gravierend ist die Zwerchfell-Lähmung. Sie macht das selbständige Atmen unmöglich, so dass eine künstliche Beatmung oft lebenslang notwendig ist.

Jahrzehnte nach einer durchgemachten Polio kann es zum sogenannten Post-Polio-Syndrom (PPS) kommen. Die Symptome sind Müdigkeit, Atemschwäche, Muskelschwäche oder Muskelschwund.


Polio-Impfung – eine Erfolgsgeschichte

Wie erfolgreich eine konsequente Schutzimpfung sein kann, zeigt sich am Beispiel Polio. Die Einführung der Schluckimpfung Anfang der 60er Jahre führte schlagartig zu einem Rückgang der Krankheit. Bereits 1965 - d.h. nur etwa 4 Jahre nach Beginn der ersten Impfkampagnen - wurden im Bundesgebiet weniger als 50 Neuerkrankungen gemeldet. Die letzte einheimische (autochthone) Erkrankung durch Polio-Wildviren in Deutschland trat im Jahre 1990 auf.




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